Hallo,
herzlich willkommen am zweiten Tag der Reise durch den Advent. Ich habe von Nicole den Staffelstab übernommen und erzähle Euch eine Geschichte.
Meine Geschichte beginnt im Kriegswinter 44/45.
Die kleine Edith ist acht Jahre alt und wohnt im Ruhrgebiet. Weil in dieser Phase des Krieges dort immer mehr Bombardierungen stattfinden, werden die Kinder auf das Land gebracht, damit sie in Sicherheit sind.
Edith ist mit ihrer Mutter in Donauwörth bei einer fremden Familie untergebracht worden, ihr älterer Bruder weit weg in Gries am Brenner, der Vater musste zurückbleiben.
Im Advent bekommt sie die Geschichte von Stoffel und Line vorgelesen, dem Adventskalender, der in der gastgebenden Famile den Kindern viel Freude bereitet hatte. Jeden Tag wird ein wenig mehr der Geschichte weiter vorgelesen und für jeden Tag des Dezembers steht ein Kerzchen im Text.
Stoffel und Line haben kurz vor Weihnachten nur noch wenige Lebensmittel und Stoffel begibt sich auf die Suche nach Arbeit. Unterwegs hilft er, wo er kann - bei Eichhörnchens und dem Zaunkönig. Dann trifft er Knecht Ruprecht, der ihm erzählt, dass die Engelchen im Himmel dringend Hilfe brauchen. Und so geht Stoffel los und arbeitet in der Himmelswerkstatt und der Plätzchenbäckerei.
Als alles für Weihnachten fertig ist, wird Stoffel dankbar nach Hause geschickt. Auf dem Heimweg wird er von Eichhörnchens und Zaunkönigs noch beschenkt und kommt rechtzeitig vor Heiligabend zurück zu seiner Line, um mit ihr Weihnachten zu feiern.
Und das Christkind kommt höchstpersönlich zu ihnen, um ein ganz besonderes Geschenk zu überbringen.
Ein Stück heile Welt in einer schrecklichen Zeit - und als Edith endlich wieder nach Hause zurückkehren darf, weil dieser fürchterliche Krieg vorbei ist, bekommt sie zum Abschied die Geschichte von Stoffel und Line geschenkt. Auch ihr Bruder kommt wohlbehalten heim, der Vater holt ihn zurück, wobei er lange Fußwege dafür in Kauf nimmt.
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Und so ist dieser Adventskalender in unsere Familie gekommen. Ihr denkt Euch bestimmt schon, dass die kleine Edith meine Mutter war. Leider ist sie schon lange nicht mehr bei uns, ich hätte sie gerne noch einmal nach ihrer Geschichte gefragt.
Der Kalender gehörte zu unserer Kindheit, das Nachzählen der Kerzchen wurde ein liebgewonnenes Ritual und als wir dann selber Kinder bekamen und den Kalender vorlesen wollten, war das Problem, dass meine Geschwister die Sütterlinschrift, in der der Text geschrieben war, nicht lesen konnten. Ich hatte sie noch als Schmankerl in der späten Grundschulzeit gelernt.
Inzwischen gab es Computer und so wurde der Text abgeschrieben und mit einer lesbaren Schrift neu gesetzt. Mein Vater lies das Buch ausdrucken und neu binden, so dass die Tradition weiterhin fortgesetzt werden kann.
Nun habt Ihr unsere schönste Adventstradition kennen gelernt - gibt es bei Euch auch ein Ritual, das jedes Jahr einfach dazu gehört?
Und morgen geht die Reise bei Anka - Hirschengelchen weiter, ich bin gespannt, was sie uns zu erzählen hat.
Gudrun